Essen als Belohnung


Neulich erreichte mich per Mail eine Frage folgender Art:
"Wie hast du dich vor deinem Projekt ernährt bzw. bevor du vegetarisch unterwegs warst? Wie hast du gelebt?"

Und da mich solche Fragen doch immer wieder mal erreichen denke ich, das ich mich heute mal ein wenig näher darüber "offenbaren" möchte. Ich finde es nach wie vor nicht ganz einfach darüber zu sprechen. Nicht weil man jetzt irgendwelche gruseligen Geschichten alà "Sie hatte eine schwere Kindheit" o.ä zu erwarten hat, nein das ist es nicht. Aber wenn man sein ganzes Leben lang mit einer schweren Essstörung konfrontiert ist und erst nach und nach lernt, gewisse Dinge anders zu sehen, prägt das einen schon sehr. Ich denke sogar, das mich dieses Thema - trotz meiner bisherigen Abnahme - noch mein weiteres Leben lang begleiten wird. 

Irgendwie sehe ich es wie bei einem trockenen Alkoholiker: Kommen diverse Gründe für den Konsum wieder zum Vorschein - sei es Gefühlsbewältigung, Gefühlsbetäubung, Belohnung oder Bestrafung, die Lust am trinken, körperliche Suchtsymptome etc. - muss sich der Betroffene mit diesen Gründen auseinandersetzen und eine andere Handlungsstrategie entwickeln. So ähnlich ergeht es mir mit dem Essen. Im großen und ganzen gelingt mir das zwischenzeitlich ganz gut und ich muss mir nicht täglich Gedanken machen, wieso der Tag esstechnisch bescheuert lief. Denn in den meisten Fällen esse ich ausgewogen und mit dem Gefühl, das ich zufrieden damit bin.

Aber manchmal (zwischenzeitlich zum Glück sehr selten!) ist dieses Bewusstsein auf einmal nicht mehr da. Dann ist es von einem Augenblick zum nächsten wie früher. Und ich finde wieder Gründe um mich mit Essen zu belohnen. Denn das ist ganz großes Thema bei mir : Essen als Belohnung. Sei es weil der Tag sehr stressig war, ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe und mir jetzt endlich was "gutes" zusteht oder andere Gedankengänge. 

Das Essen für mich einen belohnenden Stellenwert hatte, musste ich die letzten 3 Jahre erstmal erkennen. Natürlich war es mir schon viele Jahre bewusst dass ich damit ein "Problem" habe. Schließlich kommt es nicht von allein das man irgendwann doppelt so viel wiegt, wie man eigentlich sollte. Und natürlich hatte ich schon zahlreiche verzweifelte Abnehmversuche, Diäten, Kuren o.ä hinter mir, immer in der Hoffnung dass - sobald ich dann mal schlank bin - sich alles von selbst erledigt hat. 

Aber die Erkentnis dass der Kopf - genauso wie der Körper- für eine erfolgreiche Gewichtsreduzierung mitziehen muss,  wurde mir tatsächlich erst die letzten 3 Jahre im vollem Umfang bewusst. Es ist eben nicht getan, mal eben auf die Schnelle abzunehmen. Denn sobald man das Wunschgewicht erreicht hat, stellen sich wieder alte Gewohnheiten oder Denkweisen ein, die man während der Abnahme erfolgreich ausgeblendet hatte. 

Also habe ich - neben Änderungen meiner Essgewohnheiten - begonnen mich mit meiner Person auseinander zu setzen und zu gucken, was die Auslöser waren, wenn ich mich mal wieder mit Nahrung belohnt hatte. Und glaubt mir: Diese Erkentnisse hatten mich teilweise sehr viel Kraft gekostet. Ich wünschte mir nichts mehr, als endlich "normal" mit dem Thema umgehen zu können. Ich wollte endlich so sein wie die anderen, die damit keine Schwierigkeiten hatten..

Aber was ist schon normal? 

Es gibt viele Menschen, für die Essen eine belohnende Eigenschaft haben. Es ist gesellschaftlich gesehen einfach gemütlich "mal schön essen zu gehen", im Kino gehört die Tüte Popcorn einfach irgendwie dazu oder man kocht sich gerne mal was leckeres, wenn man die Zeit dazu hat. 

Essen ist einfach ein primärer Bestandteil des Lebens. Das kann man nicht eben mal so ausschalten und denken, damit wäre die Sache jetzt erledigt. 

Also habe ich gelernt, solche Dinge einfach als "normal" zu betrachten und nicht mehr als komische Eigenschaft von mir. Und nach und nach fiel der Druck von mir ab, einfach weil ich vieles lockerer und in einem anderen Licht sah. Plötzlich konnte ich wieder genießen ohne schlechtes Gewissen, konnte mich an leckeren Sachen erfreuen ohne mich dafür als "seltsam" zu empfinden usw. 

Genauso habe ich jedoch auch begonnen, auch die gesunde, abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung zu genießen. Ich liebe Gemüse aller Art, würde jeden leckeren Salat einem fettigem Gericht vorziehen und mag z.B Vollkornbrot auch lieber, als inhaltslose Weißmehlbrötchen. Ich ernähre mich gerne so wie ich es jetzt tue und habe nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen. Denn wenn es mir nach etwas ist, was dann eben nicht so "abnehmtauglich" erscheint, dann esse ich es. Und genieße und freue mich daran. 

Solche Tage, an denen ich die Dinge dann doch mal anders sehe und alte Gefühle wieder in mir hochkommen die mit Nahrung kompensiert werden müssen, gibt es noch. Aber sie werden zunehmend seltener und wenn, dann hake ich sie ab und mache am nächsten Tag wieder mit neuer Motivation weiter.

Ich denke ich befinde mich auf einem guten Weg ...

16 Kommentare:

  1. Jessi, du bist ein Phänomen!
    Du verstehtst es, deine Leser mit deiner ehrlich, von Herzen kommenden Berichtserstattung über deine eigenen Stärken und Schwächen zu motivieren, sich selbst zu beobachten um sich dabei kennen-zu-lernen.
    Du hast es richtig erkannt, wenn WIR aufhören, uns selbst SCHLECHT zu machen, weil wir eben die eine odere andere SCHWACHSTELLE in unserem Leben haben, gewinnen wir jeden Tag an STÄRKE und brauchen immer weniger das ESSEN als Puffer. -KLASSE BERICHT!-

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    1. ♥ Vielen Dank anonymer Leser (wobei ich gerade so eine Vermutung habe, wer Du sein könntest.. grins..)

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  2. Ich bewundere dich !! Wenn ich nur halb soweit wäre !! Ich hab bei fast allem was ich esse ein schlechtes Gewissen beziehungsweise Gefühl !!

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    1. Und wenn Du nicht halb so weit bist, dann bist Du heute vielleicht 10 % soweit. Jeder Tag kann als neue Chance genutzt werden, vergiss das bitte nie! Alles Liebe :)

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  3. Hi, Jessie. Ich lesse dich aus Spanien. Hoffentlich kann irgendwandmal wie Du es schaffen.
    Ich bin der Fall, dass eine schwere Kindheit hatte. Und es hat nicht nur zu Essenstoerungen gekommen.
    Jetzt esse ich aber ziemlich Ok.Was am bestens zu finden in Spanien meiner Meinung nach, sind die Obst undd Gemüse... Aber trotzdem schaffr ich es nicht abzunehmen. Na tja... Sorry wegen meiner Fehler. Mein Deutsch ist kaputt :-(

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    1. Ganz liebe Grüße nach Spanien !! ♥ Deine Zeilen freuen mich ganz besonders, weil Du Dir sehr viel Mühe gemacht hast mich zu erreichen. Und Dein Deutsch ist prima - keine Sorge. Alles ist gut :)

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  4. Das "Problem" am Essen, bzw. daran wenn man ein gestörtes Verhältnis dazu hat hast du in folgendem Satz perfekt umschrieben

    << Essen ist einfach ein primärer Bestandteil des Lebens. Das kann man nicht eben mal so ausschalten und denken, damit wäre die Sache jetzt erledigt. >>

    Rauchen ist ungesund - aufhören der Weg.
    Alkohol ist ungesund - aufhören der Weg.
    Essen macht dick - aber eben nicht immer, bzw. nicht per se. Und aufhören nicht der richtige Weg. Das erschwert den guten Umgang mit Essen im Vergleich zu Rauchen/Alkohol etc. Es ist viel schwieriger weil es nicht einfach ein "ich tu's oder nicht" gibt sondern ein "was esse ich". Und herauszufinden wo die eigenen Schwachstellen liegen ist der Schlüssel zum Erfolg. Das habe ich auch lernen müssen.

    Ich finds toll, dass du mit dir - und auch mit uns - so ehrlich bist. Danke!

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    1. Wie lieb von Dir - vielen Dank :) Manchmal muss ich mich überwinden diese Ehrlichkeit auch öffentlich preis zu geben, im Nachhinein bin ich aber dann doch immer ganz froh wenn ich meine Gedanken einfach nieder geschrieben habe..

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  5. Wow, ein toller Artikel!
    Ich stelle es mir auch sehr schwierig vor, ein normales Essverhalten entwickeln zu wollen/müssen, wenn man noch nicht einmal genau weiß, was das eigentlich ist, da man ja nur das kennt, was man lebenslang hat. Meine Bewunderung, dass du das geschafft hast. Ich finde, dass das viel wichtiger ist, als die Zahl auf der Waage. Wie du geschrieben hast, der Kopf muss mitziehen. Und wenn der Kopf das geschafft hat, ist schon einmal viel geschafft.
    Gibt es bei dir überhaupt keine "gruseligen Geschichten alà Sie hatte eine schwere Kindheit"? ich meine natürlich nicht in der Härte^^ Aber irgendwie muss sich deine Essstörung doch entwickelt haben.. Meines Wissens ist das gestörte Essverhalten ja auch nur ein Symptom des eigentlichen Problemes. Aber ich bin natürlich auch keine Expertin auf dem Gebiet^^

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    1. Wie Recht Du damit hast, ja :) Solche Geschichte gibt es in meiner Biographie natürlich auch. Irgendwann werde ich die richtigen Worte dafür finden und auf Deine Frage gerne eingehen. Es ist dann doch alles etwas komplizierter und ich finde es nach wie vor nicht so einfach, mich "öffentlich" zu offenbaren. Andererseits ist es halt mein Leben. So wie es ist :)
      Ich danke Dir auf jeden Fall für Deine aufmerksame Rückmeldung! ♥

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    2. Ich meinte damit auch nicht, dass du das unbedingt im Internet preisgeben sollst - es reicht ja, wenn du das für dich weißt ;)

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  6. Das hast du wunderbar zusammengefasst. Und das mit dem Kopf, der mitmachen muss, damit es klappt, das weiß man zwar aber einfach so anschalten kann man ihn auch nicht. Umso schöner, wenn es auf einmal passiert und man ganz heiß darauf wird, z.B. Sport zu machen obwohl man sich früher immer zwingen musste. Und trotzdem ist das Leben nicht immer gleichmäßig und Risikosituationen fordern alte Gewohnheiten heraus. Das muss einen aber nicht entmutigen. Denn es geht ja weiter...

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  7. Du bist toll,
    danke das du uns mit deinen Berichten immer wieder neu Motivierst und alles so toll auf den Punkt bringst :-)
    Dankeschön :-)
    Sandra

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  8. Ich überleg schon voll lange, ob ich mich nicht auch Vegan oder Vegetarisch ernähren sollte. Und diese Seite und vor allem der Artikel sind wirklich eine gute Hilfe.Und ich wollte auch noch sagen, dass ich das echt toll fnde, was du bereits erreicht hast. :)

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    1. Ich danke Dir. Solche ehrlichen Rückmeldungen sind MIR eine gute Hilfe. Vielen Dank! :)

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  9. Hallo Jessi, dein Blog ist toll. Du beschreibst es wirklich sehr treffend. Was ich hier gelesen habe, dass man Rauchen und Alkohol trinken aufhören kann, aber essen muss man eben -ich höre das oft- ist glaube ich ein Irrtum, denn die Ursache ist die gleiche. Ich habe früher viel geraucht, dann aufgehört. Dann habe ich immer wieder mit zu viel Alkohol zu kämpfen gehabt, auch nicht gut. Und nun beobachte ich, dass ich genau wie du es beschreibst, eben esse, wenn der Tag schlimm war, wenn ich gefrustet, gestresst bin, mich unwohl bzw. ungut innen drin fühle... und ich weiß, früher hätte ich eine nach der anderen geraucht oder eben getrunken -wenns ganz schlimm war-. Alles der gleiche Mechanismus.
    Das gesund bzw. ausgewogen Essen geht ja ansonsten auch. Das -ich seh es bei mir mehr als Trost-Essen oder Frust-Essen und nicht so sehr als Belohnung - unkontrollierte Essen ist im Prinzip eine ganz andere Sache als die Nahrungsaufnahme. So ist es zumindest für mich.

    Ich muss aber zugeben, ich mache es irgendwie gerne.... dran arbeiten meine ich, mich verbessern, Lösungen für meine Probleme suchen. du hast ein Projekt und beginnst es. Es läuft gut, irgendwann stößt du an Grenzen. D.h. du musst neu überlegen. Wie geht es weiter. Keine Lösung hält für das ganze Leben. Es ist wie eine Schicht abtragen, dann stößt man auf die nächste Schicht und die braucht eine andere Methode.

    So anstrengend es auch ist, das ist auch das Spannende an dem Ganzen. Und ich glaube, dass es die beste Erfahrung ist, die man machen kann. Zu lernen, wie man mit sich umgehen kann, zu lernen, wie man Strategien entwickelt, Selbstdisziplin entwickelt, vielleicht auch Spiele mit sich... das Leben und die Probleme wie ein Spiel zu betrachten macht mir Spaß. ok, gemeistert, nächstes Level.

    Ich hab auch oft gedacht, ich hätte gern diesen Punkt nicht in mir drin, die Erinnerung an negative Zeiten trägt man mit sich und kriegt sie nie wieder los. Aber mittlerweile glaube ich, dass es, wenn man sich damit auseinander gesetzt hat und solche Probleme bewältigt hat, ein Riesenbonus ist im Vergleich zu anderen. Man entwickelt eine Stärke in sich, die einem niemand mehr nehmen kann. Auch, wenn man ab und zu zurückfällt. Die Rückschläge, aber auch das hast du schon geschrieben, nicht überbewerten. Es ist nur ein Tag.

    Ich habe angefangen, die Abstände zwischen meinen Rückschlägen aufzuschreiben. 3 - 6 Monate. D.h. ich habe 4-5 schlechte Tage und ca. 360 gute! Wenn man sich das überlegt... selbst wenn es einmal im Monat ist.. 350 gute Tage! Ist das ein Grund, sich fertig zu machen?

    Jetzt hab ich viel mehr geschrieben, als ich wollte... aber du hast mich zum Nachdenken gebracht... Danke dafür... und alles Liebe und weiterhin viel Erfolg!

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